Die Führungskraft als Coach? – Warum mangelhaftes Verständnis für Methoden und die Zusammenhänge und Wirkweisen von Arbeitssystemen nicht zum neuen Heilmittel für Organisationen werden kann!
Ein erster spontaner Gedanke zur Thematik „Führungskraft als Coach“ basiert auf vielen Jahren Erfahrung in der Begleitung von Unternehmen und einer Vielzahl an Gesprächen und Workshops mit Führungskräften des mittleren und oberen Managements:
Einer der Gründe, die zu Misserfolgen von Veränderungs- und Verbesserungsprozessen u.U. maßgeblich beitragen und dadurch Potentiale in der Organisation ungenutzt lassen, sitzt vor mir und möchten mich coachen!?
In den letzten Jahren ist das Thema „Führung“ in vielen Unternehmen in den Fokus gerückt. Die Gründe hierfür sind vielfältig. Zum einen fordern Management- und Zielsysteme die erfolgreiche Führung von Arbeitssystemen mit Blick auf Kosten, Zeit, Flexibilität, Qualität usw. Zum anderen zeigen weltweite Erhebungen, dass notwendige Veränderungs- und Verbesserungsprozesse, unabhängig von der Themen- und Zielstellung, in Organisationen oftmals bzw. zu oft scheitern. Als einer der Gründe werden an dieser Stelle vielfach Führungskräfte identifiziert, die hinsichtlich Vorbildfunktion, Information und Kommunikation, wertschätzenden Umgang mit Geführten, Empathie, Kultur- und Sinnvermittlung sowie „Vor-Ort-Präsenz“ noch Potenzial besitzen sollen.
Die Fach-, Berater- und sog. Vordenkerwelt reagiert darauf seit vielen Jahren mit immer neuen Führungsmodellen und -theorien. Über deren Erfolg und Nachhaltigkeit lässt sich sicherlich lange diskutieren und philosophieren.
Als der „neueste und letzte Schrei“, „der Stein der Weisen“ oder „das fehlende Glied auf dem Weg zum Erfolg“ gilt aktuell vermehrt eine Methodik, welche die vorhergehend benannten Herausforderungen für Führungskräfte und Unternehmen vermeintlich erfolgreich begegnen kann und die auf der Erkenntnis basiert, dass die Führungskraft als Coach agieren sollte. Hiermit ist nicht gemeint, dass Führungskräfte durch Externe gecoacht werden sollen! Nein, die Führungskraft soll Coach ihrer Mitarbeiter/-innen sein.
Es gibt grundsätzlich wesentliche Bedingungen für ein erfolgreiches Coaching:
- Ein Coaching findet immer freiwillig statt, d.h. ohne das der bzw. die Gecoachte dazu gezwungen wird.
- Das Coaching ist mit einem klaren Zeitplan und einem konkreten Ziel verbunden.
- Die Vertraulichkeit des Gesprächs muss gegeben und garantiert sein.
- Es bestehen keine hierarchischen Abhängigkeiten in der Gesprächssituation.
Es muss noch zwingend hinzugefügt werden, dass sichergestellt werden sollte, dass eine Führungskraft auch freiwillig als interner Coach agieren möchte.
In der WirtschaftsWoche vom 19.3.21 (Nr. 12, S. 20) wurde die Situation für Führungskräfte, die Coach ihres Teams und nun ausgerichtet und trainiert werden sollen, wie folgt beschrieben: „Dann ploppt da plötzlich diese Outlook-Einladung auf – und mit ihr die Frage: Was um Himmels willen erwartet mich da? Und wie bitte schön mache ich das Beste daraus?“
Die Zielstellung ist klar und herausfordernd: „Selbst ihre Mitarbeiter zu coachen und sie während der Arbeit bei der Persönlichkeitsentwicklung zu unterstützen“ (WirtschaftsWoche vom 19.3.21, Nr. 12, S. 20).
Wem jetzt ernsthafte Zweifel an dieser Vorgehensweise und den Erfolgsaussichten kommen, dem sei gesagt, dass man nicht alleine ist: „Wenn der Chef sich zum Coach aufschwingt, ist der Bruch mit dem wichtigsten Prinzip der Zunft (Anmerkung: der Coaching-Zunft) programmiert: absolute Vertraulichkeit und Abwesenheit von hierarchischen Abhängigkeiten“ (WirtschaftsWoche vom 19.3.21, Nr. 12, S. 20).
Doch es gibt noch mehr Aspekte, die an den Erfolg und die Nachhaltigkeit des Konzepts „Führungskraft als Coach“ zweifeln lassen:
- Es wird erneut eine „neue Sau durchs Dorf getrieben“, d.h. die Unternehmenswelt hat eine neue Managementmode entdeckt und unreflektiert als Erfolgstreiber ausgerufen. Evtl. ist dies sogar die x-te Modewelle in einem Unternehmen und die vorgehenden Kampagnen waren ebenfalls nicht nachhaltig und erfolgreich. Diesbezügliche Lerneffekte gibt es nicht oder werden ignoriert.
- Die Geführten und Führungskräfte haben kein Interesse zu coachen bzw. sich überhaupt oder von der direkten Führungskraft coachen zu lassen.
- Einer der Gründe, die zu Misserfolgen von Veränderungs- und Verbesserungsprozessen u.U. maßgeblich beitragen und dadurch Potentiale in der Organisation ungenutzt lassen, sitzt vor mir und möchten mich coachen.
- Die Führungskraft als Coach deckt mit dem gecoachten Team Herausforderungen für den Arbeitsalltag auf, aber kann diese selbst oder auch zusammen mit dem Team nicht lösen, da andere Führungskräfte dafür verantwortlich sind oder aber zumindest bei der Lösung unterstützen müssten. Diese Form der abteilungs- und hierarchieübergreifenden Zusammenarbeit ist bisher allerdings evtl. noch nie geschehen, weil in „Silos“ und Hierarchien gedacht und gearbeitet wird.
„Natürlich seien derlei Konflikte auch den Personalentwicklern in Konzernen bewusst. Sie würden trotzdem Führung mit Coaching vermischen – und etwa das, was gestern noch ein Jahresgespräch war, heute schon als Coaching ausweisen. Den Konzernen spart das bares Geld.“ (WirtschaftsWoche vom 19.3.21, Nr. 12, S. 22).
Es ist immer wieder erstaunlich, mit welchem mangelhaftem Verständnis für die Wirkweise von Arbeitssystemen in Unternehmen agiert und wie versucht wird, mit immer neuen Moden, Konzepten usw. zumeist offensichtliche Themen, Probleme und Potenziale z.T. zu ignorieren oder zu kaschieren.
Im Coaching, als eine Methodik bzw. ein Werkzeug, liegen sicherlich diverse und umfangreiche Möglichkeiten Potenziale zu identifizieren und zu heben. Auch können Führungskräfte sich des „Coaching-Werkzeugkastens“ bedienen und geeignete Methoden daraus anwenden. Aber dafür ist Augenmaß und ein bewusster Einsatz dieser Methoden notwendig. Ebenso auch die Erkenntnis, dass es hier Grenzen bei der Anwendung gibt. Die bewusste und wohldosierte Nutzung von Coaching-Methoden macht aus Führungskräften allerdings zwingend noch keine Coaches, die Coaching-Prozesse zielführend gestalten können (Ausnahmen hiervon mag es, wie immer, sicherlich geben). Für den Einsatz im Unternehmen sind daher externe Coaches vorzuziehen.
Unser dreiteiliger Podcast möchte die Thematik und die damit einhergehenden Notwendigen Rahmenbedingungen für erfolgreiches Business-Coaching verdeutlichen und zu einer bewussten betrieblichen Anwendung der Methodik beitragen.