Beitrag zum Podcast #53 – #55

Mich haben Ereignisse und Erkenntnisse in und mit diversen Unternehmen in den letzten Wochen sehr nachdenklich gemacht.

Hierzu haben zum einen die Gespräche im Rahmen des aktuellen Schwerpunkts des Podcast zum Thema „Verbesserungen“ geführt. Zum anderen ein Treffen des von mir organisierten Excellence Netzwerkes in dieser Woche, wo engagierte und verbesserungswillige Unternehmen sich vor Ort bei einem gastgebenden Unternehmen gegenseitig unterstützen, um strukturiert und professionell in diversen Themenfeldern besser zu werden. 

Ich hatte in letzter Zeit jedoch auch mit einigen Organisationen zu tun, wo die Verbesserungsaktivitäten eher unstrukturiert bis überhaupt nicht vorhanden waren. Wie kann das sein, wo doch wahrscheinlich allen klar ist, dass unser Wettbewerbsumfeld, Megatrends und Krisen uns auch zukünftig eher stärker fordern werden? Eine Struktur für Verbesserungen/Veränderungen und der dafür notwendigen Kultur lässt sich nicht von heute auf morgen realisieren. Warum wird anscheinend noch gewartet?

  1. Es ist doch eher unstrittig, dass es aktuell nahezu für alle Organisationen, unabhängig von Größe und Branche, eine Vielzahl an Herausforderungen durch Krisen und die sog. Megatrends, wie z.B. Digitalisierung, Demografie, Globalisierung usw., gibt. Sicherlich in unterschiedlicher Ausprägung und Intensität.
  1. Ebenso unstrittig ist, dass in den Organisationen nicht alles so bleiben kann wie es ist, wenn es besser werden soll bzw. muss. Wo auch immer Bestehendes, wie z.B. Technologien, Strukturen, Prozesse, Betriebsklima usw., hinterfragt, weiterentwickelt oder umfassend umgestaltet werden muss, stehen wir in den Organisationen vor einem notwendigen Veränderung- und Verbesserungsprozess. Dies bedingt sich zwangsläufig und wird auch nicht infrage gestellt.
  1. Zudem besitzen viele Organisationen ein ISO-Zertifkat für Qualität, Umweltschutz usw. Sinngemäß fordern die Normen übergreifend eine Bestimmung und Auswahl von Chancen zur Verbesserung vorzunehmen und entsprechende notwendige Maßnahmen einzuleiten. Es gilt eine Verbesserung der Leistung und Wirksamkeit der Organisation und ihrer Managementsysteme zu erzielen. Als Beispiele werden u.a. Korrekturmaßnahmen, kontinuierliche Verbesserungen, umfassende Veränderungen, Innovationen und Reorganisationen genannt. Alles bekannt und zertifiziert.

Die drei benannten Aspekte sind Allgemeingut und werden wahrscheinlich überall so bestätigt.

Wenn dies so ist, warum wird dann der KAIZEN/KVP so stiefmütterlich behandelt und die entsprechenden notwendigen Strukturen sind oftmals eher durch Unprofessionalität gekennzeichnet? 

Professionelle Verbesserungsaktivitäten brauchen u.a.:

  • Eine gelebte Vision, Mission, Strategie und Kultur
  • Einen klar benannten und bekannten Zielzustand 
  • Einen klar benannten und bekannten Ist-Zustand 
  • Prozessorientierung
  • Standards und stabile Prozesse
  • Organisation/Struktur
  • Dokumentation
  • Schulung und Qualifikation auf allen Ebenen und in allen Bereichen
  • Kompetenzentwicklung auf allen Ebenen und in allen Bereichen
  • Motivation und Anerkennung
  • Verbesserungsbewertung und –umsetzung (Kaizen-Speed)

Einige dieser Themen werden auch im zweiten Teil des  Podcast mit Hans-Jürgen Classen besprochen. So z.B. welche Rahmenbedingungen und Führungsaufgaben für eine erfolgreiche Kaizen-Implementierung nötig sind. Zudem wird anhand von Erfahrungen & Good Practice Beispielen veranschaulicht, was Kaizen in japanischen Unternehmen ausmacht und was deutsche Unternehmen davon lernen und was adaptieren können. Es zeigt sich, dass auch in Japan nur mit „Wasser“ gekocht wird.

Diese Podcast Episode behandelt das Thema „Kaizen“ mit den folgenden Aspekten:

⁉️ Auswahl und Entwicklung von „geeigneten“ Führungskräften 
⁉️ Bedeutung von Kaizen-Speed
⁉️ Verbesserungsvorschläge vs. Verbesserungshinweisen

Krisen und diverse Megatrends halten aktuell, und wahrscheinlich auch zukünftig, Unternehmen in Atem. Die Beachtung und kritische Reflexion dieser Trends und Krisen sowie deren aktuelle und zukünftige Bedeutung für das eigene Unternehmen sollte zu den „Hausaufgaben“ des Top-Managements gehören. In vielen Unternehmen, aber eben nicht in allen Unternehmen, geschieht dies auch. Allerdings treffen diese Trends und damit verbundene Herausforderungen auf eine betriebliche Realität, die sich, sofern strategisch oder operativ notwendig, diesen stellen und operativ umsetzen muss.

Diese betriebliche Realität ist durch bestehende und etablierte Prozesse, unterschiedliche Geisteshaltungen, Managementsysteme, Technologien usw. gekennzeichnet. Sie bilden die Basis für notwendige Veränderungs- und Implementierungsprozesse und diese sind, da führt kein Weg dran vorbei, zu berücksichtigen. Um erfolgreich zu sein bzw. zu bleiben, gilt es für das Top-Management notwendige Verbesserungen/Veränderungen zu identifizieren und deren Notwendigkeit anzunehmen und in den Alltag eines Unternehmens, bestehend aus Technik, Organisationsstrukturen, Personalressourcen usw., zu integrieren.

Die „analoge“ Basis

Im Rahmen unseres Podcast haben wir uns bereits ausführlich mit der „analogen“ Basis beschäftigt, d.h. mit den Prozessen, der Unternehmenskultur, der Führung, den Managementsystemen, möglichen Verbesserungsmethoden usw. (beispielhaft seien die Podcastfolgen #27, #18, #14, #13, #11 benannt). Die „analoge“ Basis muss bzgl. ihrer Stärken und Potenziale bekannt und am besten in einem „ordentlichen“, d.h. zielführend strukturierten Zustand sein. Ausführungen hierzu finden sich in den genannten Podcastfolgen und in vorhergehenden Blogeinträgen.

Der Change

Anstehende Veränderungsprozesse setzen logischerweise immer am Ist-Zustand an und versuchen ihn in einen (besseren) Soll-Zustand zu überführen. Wenn die Ausgangsbasis aber nicht hinreichend bekannt ist und beachtet wird, können Veränderungsprozesse nicht zielführend ihre Kraft entfalten. Das auch Veränderungsprozesse professionell gemanagt werden müssen, haben wir u.a. in den Podcastfolgen #38 und #39 behandelt.

Digitalisierung nachhaltig umsetzen – Eine Diskussion aus der Unternehmenspraxis

Zu den aktuellen Megatrends zählt u. a. die Digitalisierung, welche wir nach ca. 1,5 Jahren (#1+2 Digitalisierung im Mittelstand) erneut in den Fokus unserer Podcastfolgen gestellt haben.

Mit Blick auf die Unternehmenspraxis und den Megatrend „Digitalisierung“, welcher u.U. vielschichtige Veränderungen notwendig macht, haben wir uns in den Podcastfolgen #41+42 erstmalig mit zwei erfahrenen Fachexperten (Jürgen Dörich & Jens Harde) ausgetauscht. Aus dem Gespräch sind zwei Podcast-Folgen entstanden, welche die unternehmerischen Herausforderungen, sowie Chancen und Risiken der Digitalisierung aus einer Umsetzungssicht in den Mittelpunkt der Diskussion stellen. Dabei teilen beide Gesprächspartner ihre Erfahrungen und Lerneffekte in Bezug auf verantwortete bzw. begleitete Digital Change Projekte.
In den beiden Folgen werden zum einen die Voraussetzungen und Rahmenbedingungen für die Digitalisierung diskutiert und zum anderen steht die Umsetzung der Digitalisierungsthemen, u.a. in Form von Ansätzen, Bereichen und Beteiligten, im Mittelpunkt des Gesprächs. 

Hinweise zu den im Rahmen der Podcastfolgen erwähnten Themen:

Das angesprochene Digitalisierungsprojekt, d.h. inklusive Benchmarking, Netzwerktreffen usw., startet Anfang 2023. Detaillierte Informationen zum Projekt gibt es hier.

Das im Rahmen des Podcast erwähnte Thesenpapier enthält die folgenden arbeitspolitischen Thesen (Quellenangaben s.u.):

  • Ohne Produktionsarbeitsplätze in Deutschland gibt es keine Wohlstandsbasis.
  • Das Produktivitätsniveau in Deutschland ist zur Sicherung der Arbeitsplätze nicht ausreichend.
  • Nicht einzelne Arbeitsplätze konkurrieren, sondern Prozessketten und Netzwerke.
  • Der deutsche Weg der Arbeitsorganisation hat die Produktivitäts- und Qualitätsprobleme mit verursacht.
  • Der Rationalisierungsprozess ist organisatorisch nicht ausreichend verankert.
  • KVP und Leistungsstandards sind nicht ausreichend verkoppelt.
  • Es gibt in der Industrie zu wenige einfache Jobs. Die vorhandenen werden zu hoch bezahlt.
  • Konzentration auf die Wertschöpfung.
  • Systematische methodenbasierte Rationalisierung.
  • Geführte Gruppenarbeit.
  • Anforderungsgerechte Stellenbesetzung.
  • Personalentwicklung und Erhalt der Beschäftigungsfähigkeit.
  • Zeitorganisation.

Gryglewski, Stefan: Sicherung von Produktionsarbeit in Deutschland; Reformbedarf der arbeitsorganisatorischen Leitbilder. In: Zeitschrift für Arbeitswissenschaft (2007), Heft 1.

Gryglewski, Stefan (2005): Sicherung von Produktionsarbeit in Deutschland. Reformbedarf der arbeitsorganisatorischen Leitbilder. Vortrag bei der Fachtagung „Arbeitsorganisation der Zukunft“ des Instituts für Arbeitswissenschaft (IAW), der RWTH Aachen und der Deutschen MTM-Vereinigung e.V. am 15. September 2005 in Aachen.

Gryglewski, Stefan (2007): Arbeitswissenschaftliche Leitlinien? Die Position der Arbeitgeber. Vortrag auf dem 53. Frühjahrskongress der Gesellschaft für Arbeitswissenschaft e.V. (GfA) „Kompetenzentwicklung in realen und virtuellen Arbeitssystemen“, 28.2.-2.3.2007 in Magdeburg.

Unterstützende Informationen zum Podcast #28 und #29 | Missverständnisse Lean

Mit ihrer berühmten Studie „Die zweite Revolution in der Autoindustrie“ und dem Namen Lean Production lieferte das Massachussetts Institute of Technology (MIT) den Beleg für die erhebliche Überlegenheit der Japaner hinsichtlich Produktivität, Flexibilität, Schnelligkeit und Qualität [4]. Dies führt seitdem immer noch zu diversen Missverständnissen und dadurch letztendlich zu missglückten Reorganisationen in den Unternehmen weltweit. Einige dieser Missverständnisse und ihre Hintergründe werden in den nachfolgenden Beiträgen dargestellt, die auch in der heutigen Zeit, d.h. mit Blick auf aktuelle Wellen und Moden der Managementwelt, nachdenklich stimmen sollten.

Auslöser der Lean-Welle

Der Begriff „Lean Production“ oder deutsch „Schlanke Produktion“ wurde im Team von James Womack, Daniel Jones und Daniel Ross im International Motor Vehicle Programm (IMVP) geprägt. Auf Basis empirischer Studien, d.h. es wurde weltweit die Produktion und unternehmensinterne Organisation der Automobilproduzenten verglichen, stellten die Verfasser in ihrem Buch damals die These auf, dass die „Welt der Industrie“ einen revolutionären Wandel erlebt, der ähnlich bahnbrechend sei wie die Ablösung der manuellen Arbeit durch die Fließproduktion bzw. Massenproduktion.

Die untersuchten japanischen Unternehmen verfolgten nämlich kein „gepuffertes“ System – d.h. ein System, mit dem vor allem westliche Hersteller sich mit einer umfangreichen Lagerhaltung, auch zwischen einzelnen Arbeitsbereichen, gegen Produktionsausfälle, mit überzähligen Arbeitskräften gegen Personalengpässe und mit großzügigen Nacharbeitszonen gegen schlechte Produktqualität abzusichern versuchten.

Die Autoren stellten eine deutliche Überlegenheit der japanischen Methoden und Organisationsstrukturen fest und prägten dafür den Begriff „Lean Production“, der vor allem die bei Toyota zur Perfektion entwickelte Form der Produktion beschrieb. Um dies zu verdeutlichen, formulierten Womack, Jones und Roos zwei Sätze, die in der damaligen Zeit in der Management- und Wirtschaftsliteratur sehr häufig zitiert wurden und weltweit die Herzen des Managements höherschlagen ließen:

„Lean Production ist „schlank“, weil sie von allem weniger einsetzt als die Massenfertigung – die Hälfte des Personals in der Fabrik, die Hälfte der Produktionsfläche, die Hälfte der Investition in Werkzeuge, die Hälfte der Zeit für die Entwicklung eines neuen Produktes. Sie erfordert auch weit weniger als die Hälfte des notwendigen Lagerbestands, führt zu viel weniger Fehlern und produziert eine größere und noch wachsende Vielfalt von Produkten.“ ([4], S.19).

Womack, Jones und Roos arbeiteten viele verschiedene Aspekte heraus, die aus ihrer Sicht den Unterschied zwischen Produktivität, Qualität und Montagezeiten zwischen japanischen und westlichen Automobilunternehmen ausmachen. So verweisen die MIT-Forscher auf wesentlich höhere Produktivität, schnellere Durchlaufzeiten, weniger Montagefehler und eine beeindruckende Anzahl an Verbesserungsvorschlägen der Mitarbeiter. Hiermit wurde Anfang der 90er-Jahre die „Lean-Welle“ ausgelöst.

„Nach fast schon einem Jahrzehnt der Pseudo-Analysen, Spekulationen, Vermutungen, Thesen, Antithesen und Halbwahrheiten über die Ursachen, Triebfedern und Hintergründe der japanischen Erfolge – die meist motiviert waren durch das krampfhafte Bemühen um Rechtfertigung eigenen Versagens an der Markt- und Kundenfront – wirkte diese erste plausible und ganzheitliche Darstellung von Leistungsparametern fast wie eine erlösende Offenbarung. Schnell wurde die Studie zur Pflichtlektüre einer ganzen Branche. Endlich hielt man den Schlüssel für eigene erfolgverheißende Zukunftsstrategien in der Hand . . .“ ([3], S. 11).

Von dieser „Euphoriewelle“ getragen, wurden Methoden und Elemente aus dem Toyota-Produktionssystem von vielen Wissenschaftlern, Beratungs- und Industrieunternehmen aufgegriffen und weltweit in den Unternehmen eingeführt. Darüber hinaus war die Studie Auslöser einer Flut von nachfolgenden Veröffentlichungen anderer Autoren, die mit ihren Aussagen die Euphorie weiter vorantrieben.

„Lean Production steht für Steigerung der Produktivität, Flexibilität und Qualität und wird damit zu einem Schlüssel für die Zukunftschancen unserer Industrie angesichts der fernöstlichen Herausforderung“ ([2], S. 3).

Auf diese Weise entstand in den westlichen Industrieländern hinsichtlich des Begriffs „Lean Production“ eine große Euphorie, die in Deutschland eine der größten Reorganisationswellen der Nachkriegszeit auslöste (vgl. [1]).

„In der breiten Öffentlichkeit erregte der Begriff der „schlanken Produktion“ Aufsehen, als er bei der Wahl der Gesellschaft für deutsche Sprache zum „Unwort“ des Jahres 1993 auf einem der vorderen Plätze landete“ ([3], S. 1).

In unserem Podcast und diesem dreiteiligen Blog-Beitrag werden einige der wesentlichen Missverständnisse vorgestellt.

Literatur

[1] Eberhardt, S.: Abschied vom Taylorismus. Mitarbeiterführung in schlanken Unternehmungen. Leonberg: Rosenberger Fachverlag, 1995

[2] Institut für angewandte Arbeitswissenschaft (Hrsg.): Lean Production. Idee – Konzept – Erfahrungen in Deutschland. Erweiterte Dokumentation der IfaA-Fachtagung am 18.3.1992 in Stuttgart. Schriftenreihe des IfaA. Band 27, Köln: Wirtschaftsverlag Bachem, 1992

[3] Stotko, C.: Geleitwort zur deutschen Ausgabe: Die Bedeutung des Werkes von Taiichi Ohno für die heutige Industrie. In: Ohno, T.: Das Toyota-Produktionssystem. Frankfurt, New York: Campus Verlag, 1993

[4] Womack, J.; Jones, D.; Roos, D.: Die zweite Revolution in der Autoindustrie. Frankfurt: Campus Verlag, 1991